03 Apr Zuschreibungen überwinden – Diversität in der Film- und Fernsehbranche
„Zuschreibungen überwinden – Zur Arbeit von Schauspielagenturen“. Ein Beitrag von Michaela Marmulla für „Politik & Kultur“, die Zeitung des Deutschen Kulturrates.
Die deutsche Film- und TV-Landschaft soll ein Spiegelbild der Gesellschaft sein und müsste daher auch in angemessener Weise die Vielfalt der Bevölkerung repräsentieren. In den letzten Jahren hat das Thema Diversität zunehmend an Bedeutung gewonnen, sowohl in der öffentlichen Diskussion als auch in der Film- und Fernsehbranche. Die Frage nach der Rolle von Diversität in diesem Bereich ist von zentraler Bedeutung, da sie nicht nur die kulturelle Vielfalt, sondern auch die Frage nach Gleichberechtigung und Repräsentation in der Unterhaltungsbranche betrifft.
Schauspielagenturen spielen eine entscheidende Rolle bei der Vermittlung von Schauspielerinnen und Schauspielern an Film- und TV-Produktionen sowie an Theater. Es ist auch mit in der Verantwortung von Schauspielagenturen, sich aktiv mit den Fragen der Diversität auseinanderzusetzen. Eine zentrale Herausforderung besteht darin, wie Zuschreibungen in der Branche behandelt werden. Diese Zuschreibungen beziehen sich auf Stereotypen und Klischees, die mit bestimmten Gruppen von Menschen verbunden sind, sei es aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, ihrer kulturellen Identität oder ihrer physischen Fähigkeiten. Eine wichtige Aufgabe von Schauspielagenturen ist es, Klienten vor solchen Zuschreibungen zu schützen, sie stattdessen aufgrund ihrer individuellen Fähigkeiten und Talente zu fördern und darauf zu achten, dass Schauspieler für verschiedenste Charaktere in Betracht gezogen werden.
In der Vergangenheit wurden Menschen mit einem Migrations- oder LGBTQIA+Hintergrund oft auf bestimmte Rollenklischees reduziert, die häufig untergeordnete oder stereo type Charaktere darstellten. In den letzten Jahren sind Bemühungen erkennbar, diversere Charaktere in den Mittelpunkt zu rücken und authentischere Geschichten zu erzählen. Dieser positive Trend ist jedoch noch nicht flächendeckend, und es bedarf weiterer Anstrengungen, um Stereotypen abzubauen und ein breiteres Spektrum von Rollen anzubieten, um damit die Vielfalt der Gesellschaft realistischer widerzuspiegeln. Diese Notwendigkeit wird immer deutlicher, da sich die Gesellschaft weiterentwickelt und eine größere Palette von Stimmen und Perspektiven Gehör finden möchte. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Diversität in der Film- und Fernsehbranche betrifft Menschen mit Behinderungen. Die Notwendigkeit, Menschen mit Behinderungen in Film, Fernsehen und natürlich auch im Theater angemessen zu repräsentieren, erfordert eine umfassende Überprüfung der bestehenden Barrieren. Dies schließt nicht nur die Barrierefreiheit im Sinne physischer Zugänglichkeit am Set oder im Theater ein, sondern auch die Schaffung von Räumen, in denen Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten in verschiedenen Rollen erfolgreich sein können. Oftmals werden Menschen mit Behinderungen durch stereotype Darstellungen marginalisiert oder sogar komplett aus der Erzählung ausgeschlossen. Es ist unverständlich, dass Menschen mit Behinderungen immer noch der Zugang zu staatlichen Schauspielschulen verwehrt bleibt. Leider werden auch Praktiken wie »cripping up«, also die Darstellung behinderter Charaktere durch nichtbehinderte Schauspieler, und Ableismus, die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen, oft toleriert, was einer inklusiven Darstellung entgegenwirkt.
Hier zeigt sich eine Dringlichkeit für einen tiefgreifenden Wandel in der Branche, um mehr Raum für die Vielfalt der menschlichen Lebensrealitäten zu schaffen. Schauspielagenturen tragen eine entscheidende Verantwortung, um die Sichtbarkeit von marginalisierten Schauspielerinnen zu fördern und aktiv zur Schaffung inklusiverer Möglichkeiten beizutragen. Es besteht nach wie vor die Gefahr der Stigmatisierung, weshalb es unerlässlich ist, dass nicht nur »behinderte Rollen« geschaffen werden, sondern dass Menschen mit Behinderungen auch in vielfältigen Charakteren und Genres vertreten sind. Ein wichtiger Schritt ist, dass auch Schauspielagenturen mit den von ihnen vertretenen Drehbuchautorinnen und -autoren in den Dialog treten und auf diese Problematik hinweisen. Die Einbindung von Beraterinnen und Experten für Barrierefreiheit kann dazu beitragen, dass alle Aspekte einer Produktion inklusiv gestaltet sind.
In den Gesprächen mit Produktionsfirmen und Drehbuchautoren bezüglich des Rollenbildes von Menschen mit Behinderung erleben Schauspielagenturen eine Bandbreite von Reaktionen. Während einige Produzenten und Autorinnen offen für die Idee sind, Menschen mit Behinderungen in verschiedenen Rollen zu sehen, gibt es immer noch Vorurteile und eine Verhaftung in veralteten Denkmustern. Ein Umdenken in der Branche und ein kontinuierlicher Dialog sowie eine Sensibilisierung für die Bedeutung von Diversität ist daher unerlässlich. Der Weg zu mehr Diversität in der deutschen Film- und TV-Landschaft ist ein fortwährender Prozess. Die schrittweise positive Veränderung in Bezug auf Menschen mit Migrationsgeschichte ist ermutigend, aber es bedarf dringend weiterer Anstrengungen, um diese und auch Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt in der Branche zu etablieren. In diesem Spannungsfeld sind Schauspielagenturen gefordert, sich zu positionieren und für die Interessen ihrer Klienten einzusetzen. Dies erfordert nicht nur Verhandlungsgeschick, sondern auch eine klare Haltung gegenüber stereotypen Darstellungen und Diskriminierung. Es ist wichtig, dass alle Beteiligten in der Film- und TV-Branche gemeinsam daran arbeiten, Diversität und Inklusion voranzutreiben. Das bedeutet nicht nur, mehr Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund vor die Kamera zu bringen, sondern auch sicherzustellen, dass sie hinter den Kulissen angemessen repräsentiert sind und eine Stimme haben. Nur durch gemeinsame Anstrengungen aller Beteiligten kann die deutsche Film- und Fernseh-Landschaft tatsächlich diverser und inklusiver werden.
Michaela Marmulla ist Schauspielagentin, Vorständin des Verbands der Agenturen (VdA) und selbst eine Frau mit Behinderung
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 4/2024.